Ensemble Tänzer Repertoire Bilder Kurse Barocktanz Downloads Kontakt
Der Beginn des 17. Jahrhunderts bedeutet für den Tanz - in Abgrenzung zu den Traditionen der Renaissance - einen fundamentalen Paradigmenwechsel auf mehreren Ebenen. War der tanzende Körper zuvor v. a. durch das Ausführen virtuoser Schrittfolgen in Form eines kunstvollen 'Spaziergangs' sowie eine damit einhergehende auffällige Ruhe des Oberkörpers im Ideal der Sprezzatura ('Nachlässigkeit') geprägt, so wird der Körper im 17. Jahrhundert - dem mechanischen Weltbild Newtons zu vergleichen - in geometrischer Form vermessen und in mechanischer Form bewegt.
Ein beredtes Zeugnis davon - geprägt auch von den Idealen der Frühaufklärung und ihrer Vorstellung von einer 'Natürlichkeit' der Bewegung - legt insbesondere das Traktat "Maître à Danser" (Paris 1725) des Pariser Tanzmeisters Pierre Rameau (1678 - 1748) ab. Rameau beschreibt darin zunächst systematisch die einzelnen Körperteile und deren Bewegungen im Tanz, um diese Einzelelemente anschließend zu Schritten (frz. tems) sowie Schrittkombinationen (frz. pas composés) zusammen zu setzen. Erweitert und ergänzt wird dieser 'mechanische Körper' um die systematisierte Führung der Arme (frz. port-des-bras), ein Novum des 17. Jahrhunderts, und in einzelnen Fällen selbst um die gefällige und geschmackvolle Neigung des Kopfes (vgl. Abb. links).
Dabei gestaltet Rameau die Schrittkombinationen in Art eines 'Setzbaukasten-Prinzips': Aus den Einzelteilen - ein mehr oder wenig fester Kanon von etwa zwanzig Schritten - lassen sich immerzu neue Kombinationen erschaffen. Variationen sind nicht nur durch Schrittfolgen, sondern insbesondere auch durch Richtungswechsel im Raum sowie unterschiedlichem Umgang mit Rhythmen möglich. Rameaus Tanztraktat bildet bis heute die wesentliche Grundlage für jede Rekonstruktion barocker Tanztechnik. In seiner Ensemblearbeit bezieht sich l' e s p a c e ausdrücklich auf diese wesentlichste Quelle.
Als weiteres Novum der barocken Tanzkunst, die sich selbst eher einer Tradition des Klassizismus zurechnete, trat etwa um 1620 die Auswärtsdrehung der Füße auf. Diese hatte für die Tanzmeister der Renaissance noch als unschicklich gegolten. Für die neuartige Technik des 'Mouvements' - einer Kombination von Beugen (frz. plié) und Strecken (frz. élevé) der Knie, die zu einer eleganten Rhythmisierung der Schritte beiträgt und die einzelnen Schrittkombinationen voneinander trennt - war die Auswärtsdrehung jedoch notwendig geworden. Einher ging damit, angeregt durch den Pariser Tanzmeister Pierre Beauchamps, eine Systematisierung der Fußstellungen im Kanon der "Cinq Positions" (vgl. Abb. rechts), wie sie noch heute im Klassischen Ballett zur Anwendung kommen.
Darüber hinaus hängt die Auswärtsdrehung der Füße eng mit einem weiteren Paradigmenwechsel im Barock zusammen, der sich auf eine neue Betrachtungsperspektive des Tanzes bezieht. Galt der Tanz der Renaissance noch als "von allen Seiten schön'' anzusehen, musste sich der neue, als 'la Belle Danse' bezeichnete Tanz im Zuge einer allgemeinen Theatralisierung des Hoflebens im Frankreich des 17. Jahrhunderts auch im Gesellschaftstanz einer Ausrichtung auf den Herrscher unterwerfen (s. Abb. links). Der Tanz war räumlich betrachtet nicht mehr Mittelpunkt eines gesellschaftlichen Treibens, sondern wurde zu einem primär frontal rezepierten Ereignis. Dies wiederum machte eine spiegelsymmetrische Ausrichtung des tanzenden Körpers notwendig. Der Körper selbst wurde zum Abbild einer Guckkastenbühne, auf der er sich tänzerisch bewegte.
Einher ging damit eine völlig neue Konzeption des Raumes als hierarchisch strukturierter, zentralperspektivischer Bühnenraum, dem sich der tanzende Körper und die Raumfiguren des Tanzes unterzuordnen hatten (s. Abb. rechts). Auch der Ballsaal wurde somit zur 'Bühne', auf der sich nur jeweils ein einzelnes Tanzpaar vor dem gesamten Hof präsentierte - mit dem Herrscher als idealem Zuschauer. Die Tanzfläche gliederte sich dabei im wesentlichen in drei Bereiche: einem Bühnengrund, in dem der Tanz beginnt und endet; einem Vordergrund, zu dem das Paar spiegelsymmetrisch zu Beginn des Tanzes gelangt, um sich symbolisch den Anwesenden tanzend vorzustellen; sowie einer mittleren Ebene, in der v. a. kreisförmige Figuren in der Mitte des Tanzablaufs präsentiert wurden. Die Reihung der Figuren folgte dabei den Lehren einer klassischen Rhetorik von Präsentation, These und Antithese und Konklusion.
Einhergehend mit der Institutionalisierung der Tanzkunst durch die Gründung der Académie Royal de la Danse im Jahr 1661 durch den jungen Louis XIV. - selbst ein enthusiastischer Tänzer und Sänger - entwickelte sein Tanzmeister Pierre Beauchamp (1631 - c. 1705) auf persönlichen Befehl des Königs eine Notation des Tanzes. Diese Tanzschrift sollte es möglich machen, sämtliche Tänze - d.h. Schritte, Schrittkombinationen und Raumwege - für den Ball und die Bühne in Form abstrakter Zeichen niederzuschreiben und damit unabhängig von der Anwesenheit des Choreographen reproduzierbar zu machen. Der getanzte Körper wurde zur Schrift, die von allen Kundigen gelesen werden konnte - und die Schrift zum getanzten Körper.
Der Herausgabe dieser Schrift (vgl. Abb. links u. rechts) durch Beauchamps Zeitgenossen Raoul-Auger Feuillet (c. 1660 - 1710) unter dem Titel "Choréographie ou l'art de décrire la Danse" (Paris 1700) und ihrer begeisterten Rezeption im paneuropäischen Kontext ist es zu verdanken, dass sich in Drucken und Manuskripten bis heute etwa 350 Choreographien aus Frankreich, England, Deutschland, Spanien, Portugal und Italien v. a. des frühen 18. Jahrhunderts erhalten haben. Die Verlebendigung dieser Überlieferungen unterschiedlichster Genres, Choreographen und Besetzungen hat l' e s p a c e sich zur Aufgabe gemacht. Dass Re-Konstruktion und Re-Lektüre auch immer wieder Verlebendigung für die eigene Gegenwart und ihre Bedürfnisse hinsichtlich Raum und Bewegung bedeutet, versteht sich dabei (fast) von selbst.
Neben Beauchamp/Feuillet haben sich weitere Versuche einer Tanznotation erhalten, so etwa die Tanzschrift Jean Faviers (1648 - 1719) (vgl. Abb. links). Die bislang einzige erhalten gebliebene komplette Choreographie eines Bühnenwerks vom Hofe Louis' XIV. ist in dieser Schrift Faviers notiert: "Le Mariage de la Grosse Gathos" mit der Musik von André Danican Philidor und der Choreographie von Jean Favier aus dem Jahr 1688. l' e s p a c e gehört zu den wenigen Ensembles, die sich mit dieser außergewöhnlichen Quelle eingehend auseinander gesetzt und Tänze daraus erarbeitet haben. Ziel ist es, den bislang wenig bekannten und dokumentierten Tanz der frühen Regierungszeit Louis' XIV (Regierung ab 1661) näher zu beleuchten. Eine Rekonstruktion sämtlicher Tänze des Favier-Balletts zur Maskerade von Philidor ist für die Zukunft geplant (s. auch Termine: Workshop zu Favier in Meisenheim).
Impressum | © 2015 Stefanie Schmiedler • www.lespace.de